Was, wenn Begriffe nur geronnene Metaphern wären? Und Wahrheit also nur ein ästhetisches Moment? Was, wenn jeder Mensch ein Künstler ist?
» Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hatte, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen. Wir wissen immer noch nicht, woher der Trieb zur Wahrheit stammt: denn bis jetzt haben wir nur von der Verpflichtung gehört, die die Gesellschaft, um zu existieren stellt, wahrhaft zu sein d. h. die usuellen Metaphern zu brauchen also moralisch ausgedrückt: von der Verpflichtung nach einer festen Konvention zu lügen, scharenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen.
Nun vergisst freilich der Mensch, dass es so mit ihm steht; er lügt also in der bezeichnenden Weise unbewusst und nach hundertjähriger Gewöhnungen – und kommt eben durch diese Unbewusstheit, eben durch dies Vergessen zum Gefühl der Wahrheit.
An dem Gefühl verpflichtet zu sein, ein Ding als rot, ein anderes als kalt, ein drittes als stumm zu bezeichnen erwacht eine moralische auf Wahrheit sich beziehende Regung: aus dem Gegensatz des Lügners, dem Niemand traut, den alle ausschließen, demonstriert sich der Mensch das Ehrwürdige, Zutrauliche und Nützliche der Wahrheit. Er stellt jetzt sein Handeln als vernünftiges Wesen unter die Herrschaft der Abstraktionen: er leidet es nicht mehr, durch die plötzlichen Eindrücke, durch die Anschauungen fortgerissen zu werden, er verallgemeinert alle diese Eindrücke erst zu entfärbteren, kühleren Begriffen, um an sie das Fahrzeug seines Lebens und Handelns anzuknüpfen. Alles was den Menschen gegen das Thier abhebt, hängt von dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen; im Bereich jener Schemata nämlich ist etwas möglich, was niemals unter den anschaulichen ersten Eindrücken gelingen möchte: eine pyramidale Ordnung nach Kasten und Graden aufzubauen, eine neue Welt von Gesetzen, Privilegien, Unterordnungen, Grenzbestimmungen zu schaffen, die nun der anderen anschaulichen Welt die ersten Eindrücke gegenübertritt, als das Fester, Allgemeinere, Bekanntere, Menschlichere und daher als das Regulierende und Imperativische.
Während jede Anschauungsmethapher individuell und ohne ihres Gleichen ist und deshalb allem Rubrizieren immer eines römischen Columbariums und atmet in der Logik jene Strenge und Kühle aus, die der Mathematik zu eigen ist. Wer von dieser Kühle angehaucht wird, wird es kaum glauben, dass auch der Begriff, knöchern und 8eckig wie ein Würfel und versetzbar, wie jener, doch nur als das Residuum einer Metapher übrigbleibt, und dass die Illusion der künstlerischen Übertragung eines Nervenreizes in Bilder, wenn nicht die Mutter so doch die „Wahrheit“ – jeden Würfel so zu gebrauchen, wie er bezeichnet ist; genau seine Augen Reihenfolge der Rangklassen zu verstoßen. Wie die Römer und Etrusker sich den Himmel durch starre mathematische Linien zerschnitten und in einen solchermaßen abgegrenzten Raum als in ein templum einen Gott bannten, so hat jedes Volk über sich einen solchen mathematisch zerteilten Begriffshimmel und versteht nun unter der Forderung der Wahrheit, dass jeder Begriffsgott nur in seiner Sphäre gesucht werde.
Man darf hier den Menschen wohl bewundern als ein gewaltiges Baugenie, dem auf beweglichen Fundamenten und gleichsam auch fließendem Wasser das Auftürmen eines unendlich komplizierten Begriffsdomes gelingt; freilich, um auf solchen Fundamenten Halt zu finden, muss es ein Bau, wie aus Spinnenfäden sein, so zart, um von der Welle mit fortgetragen, so fest, um nicht von dem Winde auseinander geblasen zu werden. Als Baugenie erhebt sich solcher Maßen der Mensch weit über die Biene: diese baut aus Wachs, das sie aus der Natur zusammenholt, er aus dem weit zarteren Stoffe der Begriffe, die erst aus sich fabrizieren muss. Er ist hier zu bewundern – aber nur nicht wegen seines Triebes zur Wahrheit, zum reinen Erkennen der Dinge.
Wenn Jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt, es eben dort wieder sucht und findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen: so aber steht es mit dem Finden und Suchen der „Wahrheit“ innerhalb des Vernunft-Bezirkes. Wenn ich die Definition des Säugetiers mache und dann erkläre, nach Besichtigung eines Kamels: Siehe, ein Säugetier, so wird damit eine Wahrheit zwar an das Licht gebracht, aber sie ist von begrenztem Werte, ich meine sie ist durch und durch anthropomorphisch und enthält keinen einzigen Punkt, der „wahr an sich“, wirklich und allgemeingültig, abgesehen von dem Menschen, wäre.
Der Forscher nach solchen Wahrheiten sucht im Grunde nur die Metamorphose der Welt in den Menschen; er ringt nach einem Verstehen der Welt als eines menschenartigen Dinges und erkämpft sich besten Falls das Gefühl einer Assimilation. Ähnlich wie der Astrologe die Sterne im Dienste der Menschen und im Zusammenhange mit ihrem Glück und Leide betrachtet, so betrachtet ein solcher Forscher die ganze Welt als geknüpft an den Menschen, als den unendlich gebrochenen Wiederklang eines Urklanges, des Menschen, als das vielfältige Abbild eines Urbildes, des Menschen. Sein Verfahren ist; den Menschen als Maß an alle Dinge zu halten, wobei er aber von dem Irrtume ausgeht, zu glauben, er habe diese Dinge unmittelbar als reine Objekte vor sich. Er vergisst also die originalen Anschauungsmetaphern als Metaphern und nimmt sie als die Dinge selbst.
Nur durch das Vergessen jener primitiven Metapherwelt, nur durch das Hart- und Starr-Werden einer ursprünglich in hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie hervorströmenden Bildermasse, nur durch den unbesiegbaren Glauben, diese Sonne, dieses Fenster, dieser Tisch sei eine Wahrheit an sich, kurz nur dadurch, dass der Mensch sich als Subjekt und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt vergisst, lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit und Konsequenz; wenn er einen Augenblick nur aus den Gefängniswänden diese Glaubens heraus könnte, so wäre es sofort mit seinem „Selbstbewusstsein“ vorbei. «
„Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ von Friedrich Nietzsche
Das Wahrheitsstreben des Menschen braucht aber einen Friedensschluss, das allergröbste bellum omnium contra omnes muss verschwinden.
Die Natur wiegt den Menschen in ein stolzes gauklerisches „Bewusstsein“, die Wahrheit, meist ein soziales oder ökonomisches Moment.
Die Gesetzgebung der Sprache gibt uns die ersten Gesetze der Wahrheit an, denn es entsteht hier ein Kontrast zwischen Wahrheit und Lüge: der Lügner gebraucht die gütigen Bezeichnungen der Sprache um das unwirkliche wirklich erscheinen zu lassen. Er missbraucht die festen Konventionen durch beliebige Vertauschungen oder Umkehrungen.
Die Wahrheit hingegen ist ein Nervenreiz der ein Bild im Inneren ergibt und somit die erste Metapher. Das Bild wird in einen Laut umgeformt und in eine andere Sphäre geholt: zweite Metapher. Der Mensch erreicht sein Selbstvertrauen durch Sublimation und alles blickt auf ihn, alle Augen des Weltalls sind auf ihn gerichtet. Hier gibt Nietzsche den Intellekt an, als Grund für dieses Anschwellen des eigenen Egos. Man kann Nietzsche fast nicht lesen, ohne seine eigene Großartigkeit zu verlieren. Aber so verleiht sich jeder einen Wert, und gibt sich im Dasein einen Sinn.
Dieses Zitat verdeutlicht Nietzsches Aussagen: »„Das habe ich getan“ sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich gibt mein Gedächtnis nach.« „Jenseits von Gut und Böse“
Ich mag den jungen Nietzsche, dieses Buch ist lesenswert, da man sich die Frage stellt, kann man mit Sprache oder Worten die Wahrheit sagen. Sind Worte nur Nervenreize, die eine Metapher darstellen. Das heißt, dass Worte nur verbalisierte Bilder sind, die in unserem Unbewussten erzeugt werden und ins „Bewusstsein“ drängen. Ein verbalisierter Gedanke ist ein bewussterer Gedanke als ein Bild. Oft kommt das Bild nur ins Vorbewusstsein und es folgt die Reaktion des Körpers.